Das Klacken der Steine hallte durch den Raum. Es war ein Wohlklang für Manfreds Ohren. Dabei lag die ganze Zeit eine gewisse Spannung in der Luft. Eine angenehme, wohlige Spannung, wie sie wohl nur ein Turnier zustande brachte.
Vermutlich war es egal um was es dabei nun genau ging. Ob es ein Simultanspiel wie dieses war, ob es ein richtiges Turnier war, ob es um ein ganz anderes Spiel ging, oder um eine andere Sportart. So viele Typen von Mensch wie es gab, so viele verschiedene Möglichkeiten gab es auch diese besondere Stimmung zu erschaffen. Sie war so voller Erwartungen und doch auch mit der Gewissheit gefüllt, dass man auch unterliegen würde. Doch das gehörte dazu, war ein Teil des Ganzen. Es war eine Tatsache, dass jemand verlieren musste, wenn ein anderer gewann. Das war einfach in der Natur eines Wettkampfes und dennoch liebten die Menschen es sich mit anderen zu messen.
Manfreds Blick wanderte über die Gesichter der jungen Spieler, die er ausgesucht hatte. Sie alle wirkten sehr konzentriert, hatten ernste, oder leicht lächelnde Gesichter. Freuten sich über ihr Tun spürten, dass es nicht wichtig war hier zu gewinnen oder zu verlieren. Keiner von ihnen hätte eine Chance zu gewinnen.
Leen wirkte besonders ruhig und fast schon in sich gekehrt. Seine Züge erfolgten ruhig und wohlüberlegt. Er ließ sich auch von einem herausfordernden Zug seiner Gegnerin nicht aus der Ruhe bringen, was ihm einen neugierigen Blick von dieser einbrachte.

Leen betrachtete die Stellung der Steine auf dem Brett. Sie ergaben für ihn ein Muster, etwas das harmonisch sein sollte, etwas das eine gewisse Schönheit und Eleganz ausstrahlte. Für ihn war Go mehr als ein Spiel. Es war Kunst.
Nicht nur das Verstehen des Spiels, nein auch das Muster, das sich ergab. In einem richtig guten Spiel ergab sich ein Gleichgewicht von Schwarz und Weiß. Keine der beiden Farben war dann in einem Bereich zu viel vorhanden und in einem anderen zu wenig. Es ergab sich ein Geben und Nehmen und die Steine fanden dadurch wie von selbst ihre richtige Position.
Sie umringten sich, sie wogten hin und her, sie kamen sich näher und wichen vor einander zurück. Wie in einem Tanzstück. Das Spielbrett war ihre Bühne und die Spieler die Choreografen. Leen ließ seine Tänzer in einer Reihe antreten und dann einige hierhin und dorthin ausweichen. Einige machten einen Bogen und kehrten dann auf einem Umweg zurück. Doch ihr Weg war nicht einfach und immer wieder stießen sie auf Tänzer der Gegenseite.
Die eine Ecke war ihm sicher, es blieb nur die Frage, wie viel davon er behalten dürfte. Eine sichere Basis für alle eigenen Tänzer, ein Moment der Ruhe inmitten der sich drehenden Tänzer.

Manfred war zufrieden mit Leen, er blieb konzentriert und ruhig, egal was auf ihn zu kam. Das war schon eine ganz gute Ausgangslage und es überraschte ihn, wie ruhig der junge Mann heute war. Wenn er sich da an das Spiel von Alan und Leen erinnerte, da war das noch etwas anders gewesen. Gut, es war inzwischen einige Zeit vergangen und Manfred wusste nicht, wie viel und gegen wen Leen gespielt hatte.

Ein Schnauben wurde hörbar, als Karola den nächsten Zug ihrer Gegnerin betrachtete. Scheinbar war sie etwas frustriert.
Manfred wusste nicht besonders viel über die junge Frau, aber ein Freund hatte sie vorgeschlagen und natürlich hatte er nichts gegen den Vorschlag einzuwenden gehabt. Sie spielte seit zwei Jahren und man sah ihrem Spiel an, dass sie das regelmäßig tat. Trotzdem war sie nicht so ganz zufrieden, dass konnte man an ihrem Gesicht ablesen. Doch anstatt aufzugeben beugte sie sich grübelnd über das Brett und schien abzuwägen, was sie als nächstes tun sollte.
Entscheidungen zu fällen war nie eine ganz einfache Sache, kaum jemand wusste das so gut wie Manfred. Er hatte schon viele, auch sehr schwerwiegende Entscheidungen zu treffen gehabt. Eine Entscheidung auf dem Go-Brett war da noch bei weitem einfacher, als so manche Lebensentscheidung. Schließlich entschied Karola sich und mit einem ~Klack~ landete ihr Stein auf dem Brett.



Fortsetzung folgt…