„Danke, dass du all das getan hast.“ meinte Manfred und sah Ling an. Sie saßen am Abend nach dem Simultanspiel noch in seinem Café. Statt einem Go-Brett standen Teekanne und Tassen zwischen ihnen. Dem Go war für heute Genüge getan und auch ihre Köpfe brauchten einmal eine Auszeit.
Ling wusste nicht was Manfred mit seinen Worten alles meinte, aber sie ahnte, dass es mehr als nur das Spiel war, zu dem er sie überredet hatte.
„Du meinst wegen Celia?“ fragte sie nach.
„Ja, auch.“ kam es etwas zögerlich von Manfred, aber ja, er war ihr auch deswegen dankbar.
„Ach, es erschien mir in diesem Moment einfach wichtig, dass sie mich noch einmal ansieht. Ihr in diesem Fall die Hand zu reichen war die beste Möglichkeit.“
Manfred schmunzelte, eigentlich hätte er sich das auch denken können. Natürlich seine alte Bekannte die Situation im Nu erfasst und darauf reagiert. Sie tat das nicht nur auf dem Brett gekonnt, nein, sie tat es auch in solchen Situationen.
Er goss Tee nach und sah sie nachdenklich an.
„Was genau siehst du?“ wollte sie wissen. „Meine Falten? Meine ersten grauen Haare, die beweisen, dass auch ich langsam alt werde?“
Manfred stellte die Teekanne ab und starrte auf die Oberfläche des Tees in seiner Tasse. Es war nicht fair, wenn man so durchschaut wurde.
„Wir alle werden älter und treffen unsere Entscheidungen.“ Ihr Lächeln zu diesen Worten genügte um auszudrücken, dass es normal war. Das es zum Leben dazu gehörte und einfach der Lauf der Dinge war.
„Was, wenn wir nicht davon überzeugt sind, dass es die richtigen, dass es gute Entscheidungen sind?“ Manfred dachte oft darüber nach. Fragte sich, ob es nicht doch viel besser gewesen wäre, wenn er den einmal eingeschlagenen Weg weiter gegangen wäre. Eigentlich kam er immer zum gleichen Ergebnis, aber er war dennoch immer wieder etwas unsicher.
„Auch dann sind es für uns, in diesem Moment gute Entscheidungen, wenn wir auf unser Herz und unseren Verstand hören.“

Es war selten, dass sie solche Gespräche führten und sie fehlten Manfred trotzdem. Vielleicht lag es nicht nur daran, dass sie sich selten sahen und Ling nicht gerade sehr gesprächig war. Sie war ihm immer etwas fern und unnahbar erschienen. Das hatte sich nicht geändert, aber er hatte jetzt einen ganz anderen Blick auf die Dinge, auch auf sie. Es stimmte natürlich was sie sagte. Wenn sie etwas nicht wusste, wenn sie sich bei etwas nicht sicher war, dann sagte sie meist lieber überhaupt nichts. Ein Wesenszug, der manche sehr verunsicherte.
„Ich werde dann jetzt gehen,“ erklärte sie, leerte ihre Tasse und hielt Manfred die Hand hin. Erstaunt sah er zu ihr auf und sie lächelte. Hatte er das genau so nötig wie Celia?
Sie gab einem eher selten die Hand, es war also eine ganz bewusste Entscheidung, wenn sie es tat. Nach ihrem Händedruck, verließ sie das Café und es war fast, als sei sie nie da gewesen. Doch eben nur fast, denn Manfred saß noch etwas länger da, betrachtete den Tee in seiner Tasse und dachte nach.
Wenn einem eine Entscheidung im einen Moment gut und richtig, im Nächsten dann aber total verkehrt vorkam, was tat man dann? Hatte man dann nicht gründlich genug nachgedacht? Hatte man irgend eine wichtige Option übersehen? Sich gar falsch entschieden?
Eigentlich hatte er geglaubt damit zufrieden zu sein. Seine Entscheidung lag inzwischen Jahre zurück und er hatte sie nicht bereut. Trotzdem fragte er sich immer wieder, ob es richtig gewesen war sein Leben nicht ausschließlich dem Go zu widmen. Er hätte es gekonnt, er war nur noch einen Schritt davon entfernt gewesen. Man hatte ihn nicht einmal mehr danach gefragt, man hatte es angenommen, war sich sicher gewesen, dass er es mit ganzem Herzen tun wollte. Doch dann hatte er sich dagegen entschieden, damit vielleicht ein paar Menschen enttäuscht, einige andere verwundert.
Es war die richtige Entscheidung gewesen.



Fortsetzung folgt…