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Lesen - Teil 31 (von Falkenfreund)

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Efyriel
(37 Posts bisher)
23.07.2019 09:24 (UTC)[zitieren]
Es war spät geworden und alle waren längst schon gegangen. Alan hatte er zwar sanft rausschieben müssen – unter der Einladung morgen wiederzukommen – aber schließlich war auch er gegangen. Nun war nur noch er, Manfred, mit einer Tasse grünen Tee in seinem Geschäft. Er hatte bloß die Lampe in der Küche angelassen, weil dort kein Fenster war und er noch einige Dinge für den nächsten Tag vorbereitet hatte. Dann hatte er sich noch einen Tee aufgesetzt und saß nun an einem Tisch, wo man schemenhaft, nur von den Straßenlaternen schwach beleuchtet, noch ein Brett erkennen konnte, auf dem die geschlossenen Dosen sich abzeichneten. Manfred befand sich in einer seltsam melancholischen Stimmung. Heute war ziemlich viel losgewesen, auch weil Alan gefühlt jeden Passanten in das Café gezerrt hatte, wenn diejenige Person nicht schnell genug artikulieren konnte, dass sie kein Interesse hatte, worüber auch immer Alan gerade geredet hatte. Diese Flamme in Alan hatte er am Tage nur mit einem nachsichtigen Lächeln quittiert und den armen Leute etwas zu trinken angeboten, wenn Alan es übertrieb, aber nun saß er da und erinnerte sich selbst an die Zeiten, wo er diese Flamme besaß. Beziehungsweise hatte er sie überhaupt je besessen? Und wenn ja wie hatte sie so einfach vergehen können?

Im Grunde erinnerte er sich noch sehr gut an die Gründe, die ihn damals Abstand hatten nehmen lassen von diesem Spiel, wofür er bis dorthin sein ganzes Herz gegeben hatte. Nichts anderes hatte ihn interessiert als einen Stein stärker zu werden oder zwei. Und er war stolz gewesen, wenn er seinem Sensei berichten konnte, welche Erfolge er erzielt hatte. Sensei hatte immer nur milde gelächelt und ihn zu seinem Erfolg beglückwünscht. Dasselbe Lächeln hatte er gezeigt, wenn Manfred mal wieder deprimiert war, weil etwas nicht so klappte, wie er wollte. Wenn er stehen zu bleiben drohte oder noch schlimmer einen Schritt zurückzumachen schien, war seine Stimmung oft mies gewesen. Das hatte er immer nicht gemocht, auch er hatte verstanden, dass es nicht möglich war so mir nichts dir nichts das Profidasein anzustreben, aber es konnte doch wenigstens langsam voran gehen … also so langsam, wie er es gerade noch so akzeptierte. Wenn er dem Sensei von seinen Sorgen berichtete, hatte er nur zu sagen gepflegt mit seiner ruhigen tiefen Stimme: „Nein, nein Manfred du gehst es ganz falsch an. Siehst du, wenn du eine Partie spielst, dann denkst du am Anfang auch nicht über das Endspiel nach. Es ist schlicht der falsche Zeitpunkt, sich zu diesem Moment schon über jenes Gedanken zu machen. Wenn du es trotzdem machst, verwirrst du dich nur und verlierst die Konzentration in der Eröffnung, du musst Schritt um Schritt zurückzuweichen und dann kommt du ins Endspiel aber du liegst schon so weit hinten, dass es nichts mehr aufzuholen gibt. Es ist gut, wenn du eine Entscheidung treffen musst in der Eröffnung oder im Mittelspiel auch Gesichtspunkte aus dem Endspiel in deine Entscheidung miteinfließen lässt, aber du solltest dich doch stets daran erinnern, wo du zur Zeit stehst und was deine Stärken und Schwächen sind. Von diesem Punkt nun kannst du ruhig und bedächtig auf das Endspiel hinarbeiten. Wenn du es gut machst, wird dein Mitspieler gar nicht merken, wie er immer mehr an Boden verliert und so dir die Ehre des Sieges erweisen muss.“

Wenn sich Manfred heute an diese Standardbelehrung erinnerte, hatte er nur noch ein Lächeln für sie übrig, auch weil es Sensei immer so gut verstanden hatte, das ganze Leben durch das Go-Spiel zu erklären. Manchmal hatte er den Eindruck gewonnen, dass das Leben wirklich für ihn nur ein riesengroßes Go-Spiel ist mit all seinen Entscheidungen und Zügen. Zwar fragte er sich dann, wer sein Gegner sei, aber er ahnte schon was seine Antwort gewesen wäre, hätte er ihn das gefragt: „Das Leben an und für sich.“ Manfred versank immer mehr in Erinnerungen und bald vergaß er das Leben draußen, die Schatten, die hin und wieder das Straßenlaternenlicht verdeckten, die Hunde, die so laut bellten wie eh und je, und auch der Wind, der sanft an seine Scheibe klopfte und ihn nachsichtig, wie er war, aus seiner Melancholie reißen wollte. Aber es war ihm unmöglich und so seufzte er nur weiter durch die Straßen und suchte die Nähe zwischen Leuten, die nur vor seiner schneidenden Kälte flüchteten.



Fortsetzung folgt …



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