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Lesen - Teil 37 (von Falkenfreund)
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Efyriel (37 Posts bisher) |
Das was da auf dem Brett geschah verdiente erst den Begriff Spiel. Alles was Calia und die anderen jungen Leute taten glich hingegen stümperhaften Versuchen. Celia selbst verfolgte das Geschehen mit Staunen. Hin und wieder schien es so, als hätten die beiden Spieler sich abgesprochen, als vollführten sie einen einstudierten Tanz. Wenn einmal weiße Steine auf dem Vormarsch waren, nutzten das die Schwarzen auf ihre eigene Weise und sicherten Gebiet. Nur ab und an dauerte es etwas länger, ehe einer der Beiden seinen Zug ausführte. Es gab ein paar Stellen, an welchen Celia nicht gewusst hätte, was sie tun sollte. Diese beiden Spieler waren wirklich sehr professionell bei der Sache. Spielerisch wirkte das Vorgehen, selbst wenn es zu einem Schlagabtausch kam, wirkte er harmonisch abgestimmt. Nein, es wirkte nicht wie ein Kinderspiel, denn die Züge waren wohlüberlegt und durchdacht. Als Celia sich ein anderes Brett anschaute sah sie, dass dort gerade die ersten vier Züge gemacht worden waren und doch schien schon eine nicht zu erfassende Mühe hinter ihnen zu stehen. Die Einladung von Manfred war ziemlich überraschend gekommen, doch sie war gerade für jede Ablenkung dankbar. Gemeinsam mit Manfred und auch Alan war sie nun in die Hauptstadt gefahren um einmal professionellere Spiele zu sehen. Sie hatte zwar gehört, dass die Spieler hier auch noch alle keine „Profis“ waren, aber trotzdem unheimlich stark sein sollen. Es hätte sich alleine schon wegen dieser einzigartigen Atmosphäre gelohnt hier her zu reisen. Eine Mischung aus Neugierde, Anspannung und Erwartung lag in der Luft. Sie war fast so wie damals, bei ihrem Simultanspiel. Der Unterschied lag darin, dass hier weit mehr Spieler auf hohem Niveau am Werk waren und man nur mit persönlicher Einladung ins Gebäude durfte. Man hörte nahezu jede Sprache dieser Welt, denn das Turnier war international. Celia spielte nur noch sehr selten Go. In ihrem Kopf spukten einfach viel zu viele andere Dinge herum, die verhinderten, dass sie sich vernünftig darauf konzentrieren konnte. Umso dankbarer war sie, als sie und Alan einen Nebenraum fanden, in dem das Spiel am ersten Brett kommentiert werden sollte. Sie hoffte, dass der Kommentator sie mit seinen Erläuterungen von allen anderen Gedanken ablenken konnte. Erstaunt stellte sie fest, dass das zu kommentierende Spiel genau jenes sein sollte, welches sie vorhin beobachtet hatte. Vorne stand ein älterer Herr. Eine Kunstblume schmückte sein Revers und Celia fragte sich, ob dieser Herr irgendjemand besonderes war. Immerhin hatte sie bisher niemand anderen gesehen, der so eine Blume trug. War das vielleicht ein Mitglied vom Organisationsteam? Oder war das irgendjemand mit einem hohen Amt, der eine einführende Rede halten sollte? Sie hatte gehört, dass so etwas beim Schach vorkam, aber beim Go hatte sie so etwas noch nie gehört. Zugegebenermaßen war sie bisher auch nur bei wenigen Go-Veranstaltungen gewesen und noch nie bei einer so großen, aber es schien ihr doch ungewöhnlich. Plötzlich trat aus der Menge ein anderer gehetzt wirkender Mann hervor, dessen Kleidung mit zerzaust fast schon noch nett umschrieben war. Es schien so, als ob die Kleidung sich eigentlich noch dort vermutete, von wo ihr Träger urplötzlich aufgebrochen war und sie nur zögerlich gefolgt war. Als er nun vorne bei dem geheimnisvollen Mann mit der Blume angekommen war, sprang er ans Mikro, welches auf einem Tisch lag und hob an: „Ich entschuldige mich im Namen der Organisation für die Verspätung, aber wir alle wissen ja, dass das bei Go-Turnieren immer wieder vorkommt.“ Ein unterdrücktes Lachen lief durch den Raum. Celia wunderte sich nur, ob dem wirklich so war. Kam es immer wieder zu Verspätungen und wenn ja warum? Fragend blickte sie zu Alan, der sich zu ihr beugte und flüsterte: „Go-Turniere werden häufig noch immer von Privatpersonen organisiert. Es halsen sich ein paar freundliche Menschen ehrenamtlich eine ganze Menge Arbeit auf, deswegen gibt es meist keine professionelle Vorgehensweise, auch wenn die Organisatoren durch jahrelange Arbeit schon immens Erfahrung gesammelt haben und so tolle Events, wie das hier organisieren können.“ So war das also. Selbst so große Veranstaltungen, wie dieses hier, wo man nur mit Gästekarten reinkam wurde von Privatleuten organisiert. Kein Wunder, dass sie bisher so selten von Vereinen gehört hatte, wie es im Schach üblich war. Erschreckt stellte Celia fest, dass sie ganz in Gedanken versunken gar nicht mehr der Rede des zerzausten Mannes gefolgt war. Als sie jetzt wieder hinhörte, konnte sie nur noch hören: „Und nun genug der Vorrede, begrüßen sie mit mir unseren Ehrengast: Iyama Shiga* 7. Profi-Dan!“ Celia stutzte und musste kurz verarbeiten, was sie gerade gehört hatte. Profi-Dan? Bedeutete das, dass die Person, die da vor ihr stand und sich nun gerade verbeugte, als ob sie sich für irgendetwas bedanken müsste, ein Profi war? Sie hatte von den professionellen Spielern gehört, die sich mit dem Go-Spiel ihr Lebensunterhalt verdienen konnten. Die Kunst und das Spielverständnis von Profispielern musste um so viele Ebenen tiefer sein als ihres. Sie konnte nicht glauben, dass eine solche glänzende ja fast schon mystische Gestalt einfach vor ihr stand und sie nicht einmal gemerkt hatte, dass es sich um eine solch besondere Person handelte. Mit schnellen Handgriffen platzierte Iyama die ersten vier Steine auf den fetteren Punkten eines großen Demonstrationsbrettes, die, wie Celia wusste, Hoshi genannt wurden. Ohne weiteren Kommentar platzierte Iyama auch den fünften Zug, der in der Zwischenzeit gespielt worden sein musste. Iyama ging dabei mit solch einer Präzision und merkbarer Leidenschaft vor, dass Celia auch jedem geglaubt hätte, der meinte, dass Iyama persönlich diese Partie gespielt hatte. Der fünfte Stein viel zwischen den beiden anderen schwarzen und Celia hörte, wie Alan ganz leise aufkeuchte. Sie wusste, dass er diese Formation auch gerne spielte. Aber wie war noch einmal gleich ihr Name gewesen? … „Diese Formation nennt man San-Ren-Sei oder auch Drei-Sterne-Eröffnung. Schwarz konzentriert sich darauf eine große Einflusssphäre zu bauen und ist sich dabei bewusst, dass er noch kein Gebiet in irgendeiner Ecke erwarten kann. Wie Sie sicher alle wissen, kann Weiß noch mit diesen Zügen“, Iyama deutete mit einem weißen Stein in der Hand auf die beiden 3-3 Punkte unter den schwarzen Ecksteinen, „ohne Probleme in die Ecke eindringen und sich selbst dort eine Position bauen.“ Und so begann der erste Profikommentar, den Celia und Alan je gefolgt waren.
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